Kummerkasten Blog

Hast du Fragen zu bi+ Themen? Suchst du Rat oder ein offenes Ohr? Egal, ob es um Identitätskonflikte, Fragen nach Ressourcen oder persönliche Sorgen geht, die AG Beratung beantwortet gern deine Frage. Du kannst auswählen, ob du eine anonyme oder persönliche Antwort bekommen möchtest.

Frage:

Hallo, ich bin 21 Jahre alt und lebe in einer gläubigen Familie. Ich wurde auch mit dem Glauben aufgezogen aber bin seit knapp einem Jahr ausgetreten aus der Religion. Meine Familie weiß schon seit einiger Zeit, dass ich „anders“ bin und stellt andauernd Vermutung auf oder lässt feindlich Kommentare ab. Dabei habe ich mich nie zu meiner Familie geoutet, weil ich weiß wie sie mich ausstoßen würden. Andauernd wird sich in meiner Gegenwart über queere Menschen lustig gemacht oder sie werden aufs übelste beleidigt von meiner Familie. Sie machen mir tagtäglich deutlich, dass sie mich nicht so akzeptieren wie ich bin. Es macht mich mental einfach nur noch fertig. Ich will mit meiner Familie nichts mehr zu tun haben, wenn ich ehrlich bin. Da ich auch unter Depression leide, hilft mir das auch nicht wirklich. Mir wird andauernd das Gefühl der Hilflosigkeit vermittelt. Es tut mir leid, dass ich mich hier so auskotze.. ich bin durch den csd hier auf die Organisation gestoßen und wollte einfach mal gucken, da hab ich diese Kummerkastenfunktion gesehen und hab einfach alles versucht hier rauszulassen. Entschuldigung.

Antwort:

Hallo lieber Fragende,

Keine Entschuldigung notwendig, nicht nur weil wir dafür da sind, sondern vor allem, weil Du nichts getan hast, wofür man sich entschuldigen müsste.
Du bist nicht die Person, die andere abwertet. Du bist nicht diejenige, die anderen das Leben schwer macht. Und an Dir ist nichts falsch.
 
Und auch nichts an dem Wunsch, mit Menschen, die Dich nicht akzeptieren, die Dich abwerten, nichts zu tun zu haben. Das geht jedem so. Leider ist es halt nicht einfach, wenn es die eigene Familie ist. Denn das sind die Menschen, die unsere Welt waren, als wir jung waren, und ihre Unterstützung, Liebe, Respekt und Akzeptanz ist unglaublich wichtig für uns. Sie nicht zu bekommen ist sehr schmerzhaft. Meine Bisexualität war nicht der Grund dafür, dass ich mit meiner Mutter keinen Kontakt mehr habe, aber der Grund ist tatsächlich unwesentlich. Der Schmerz ist da, dass es mir nicht möglich ist, eine gute Beziehung zu ihr zu haben. Vermutlich auf ihrer Seite genauso.
Eine der Fragen ist, was mehr weh tut und mehr schadet. Für manche ist die Entfernung von Familie zu schwer, für andere ist verbleiben zu problematisch. Ich war eine der letzteren und bin auch nicht die einzige, die ich kenne, der es so ging. Ich kenne aber auch Menschen, die so lange gearbeitet haben bis sie Wege gefunden haben, eine Beziehung zu ihrer Familie zu haben und trotzdem sie selbst zu sein. Welcher Weg bei Dir der Beste ist, kann Dir niemand vorgeben, und ist leider auch nicht nur abhängig von Dir. Was sicherlich einen ziemlichen Beitrag zu dem Gefühl der Hilflosigkeit hat.
 
Aber Du tust etwas und zwar genau das richtige. Meine damalige Psychologin meinte damals zu mir, gewisse Situationen steht man nur durch mit Menschen an der Seite und dazu zählt meine Vergangenheit genauso wie Deine jetzige. Aktiv nach diesen Menschen zu suchen, sich auszukotzen – wenn nötig -, ist das Gegenteil von Ohnmacht, es ist sich ermächtigen das zu bekommen, was man braucht.
Ich hoffe Du hast bereits professionelle Hilfe mit Deiner Depression, falls nicht, kannst Du hier vielleicht passende Hilfe finden: https://queermed-deutschland.de/nach-empfehlungen-suchen/ oder können wir gemeinsam Möglichkeiten durchgehen.
Natürlich sind auch andere Menschen, nicht nur professionelle Hilfe, wichtig. Als ich damals depressiv war, war es für mich sehr gut, dass ich einen regelmäßigen Termin mit Freunden für eine gemeinsame Aktivität hatte, zu dem ich gegangen bin, egal wie es mir ging. Es war ein Ort, an dem ich mich sicher und akzeptiert gefühlt habe, und wo der Druck, der durch die Situation da war, durch die Menschen um mich herum abgefangen wurde. Die gemeinsame Aktivität hat mich dazu gebracht, hinzugehen und mich nicht durch die Apathie, die von der Depression verursacht wird, abhalten zu lassen. Vielleicht hast Du etwas ähnliches oder kannst Dir etwas schaffen?
Die queere Community hat ihre Schwächen, aber sie hat auch gute Angebote. Nimm sie wahr, ob es nun eines unserer Treffen ist, zu dem Du immer eingeladen bist, oder einen von uns persönlich sprechen möchtest oder Dir lieber hier etwas raussuchen möchtest: https://www.queerformat.de/wp-content/uploads/Beratungsstellen-und-Treffpunkte-BB_M%C3%A4rz2020v.1.pdf . Denn unter Menschen zu sein, die Dich verstehen, macht einen Unterschied.
Eine weiter Möglichkeit ist, etwas zu finden, für das Du Dich engagieren möchtest. Es gibt Dinge, die Ehrenamt Menschen wie uns (wieder) lehren kann:
  • dass wir tatsächlich in unserem Umfeld positives Bewirken können, statt hilflos zu sein.  
  • dass nicht jeder uns von vornherein ablehnt egal was wir tun, sonder tatsächlich unser Verhalten und unsere Hilfsbereitschaft positive Auswirkungen haben 
  • unsere eigenen Grenzen.

 

Eine letzte Sache noch: Du hast geschrieben, dass Du aus deiner Religion ausgetreten bist. Das ist ok und richtig, wenn Du nicht mehr Teil sein möchtest. Wenn Du aber ausgetreten bist, weil Du das Gefühl hast, dass Du als Person, weil Du anders bist, dort keinen Platz hast, aber eigentlich Deinen Glauben nicht aufgeben möchtest, dann gibt es Gemeinden wo queer sein und ein Teil der Gemeinschaft sein, möglich ist. Die bekannteste islamische in Berlin ist die Ibn Rushd-Goethe Moschee https://www.ibn-rushd-goethe-moschee.de/. , Christliche Gemeinden findest Du hier: https://www.huk.org/links/gottesdienstangebote#berlin. Wenn Du es nicht möchtest, lass Dich von Menschen nicht aus Deinem Glauben herausdrängen. Das heißt nicht, dass Du bleiben musst, wie ich schon sagte. Wenn Religion nichts mehr für Dich ist, dann ist es absolut ok. Du hast die Wahl, Du kannst selber entscheiden und musst nichts mit Dir machen lassen, das Dich verletzt oder Dir einredet, nichts Wert zu sein.
 
Zum Abschluss fühl Dich umarmt, auch wenn wir uns nicht kennen.
 
Liebe Grüße
 
Christiene

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Frage:

Hallo ihr Süßen,

 

ich bin Ende 50 und weiß seit geschätzt 45 Jahren dass ich auch sexuelles Interesse an Jungs/Männern habe. Seit mehr als 35 Jahren bin ich mit einer Frau verheiratet, die ich sehr liebe und schätze und trotzdem fühle ich mich immer mal wieder zu anderen weiblichen oder männlichen Personen hingezogen, manchmal einfach aus Sympathie, manchmal auch aus sexueller Unzufriedenheit heraus. Inzwischen tendiere ich sehr zu einer längerfristigen Zweitbeziehung mit regelmäßigen Treffmöglichkeiten/gemeinsamer Freizeitgestaltung/Unternehmungen zu einem möglichst verheirateten oder zumindest in fester Beziehung mit einer Frau lebenden Mann aber ich finde hier keinen, der in etwa meinen Vorstellungen entspricht. Gibt es so wenige suchende bisexuelle Männer oder weiß ich nur nicht, wie ich die finden kann. Ich war natürlich nicht untätig, sondern habe schon alle möglichen Foren und auch Instagram durchforstet, wo ich z.B. euch entdeckt habe, aber das war es dann auch. Leider gibt es hier keinen BI* e.V., sonst wäre es vermutlich einfacher.

 

Viele Grüße

Antwort:

Hallo lieber Fragender,

 

Ja, das ist eine gute Frage: Wo sich die interessierten verheirateten Bi+ Männer befinden. Verschiedene Untersuchungen und Studien zeigen uns, dass bisexuelle Männer seltener geoutet sind als homosexuelle.

 

Aber es gibt durchaus ein paar Anlaufmöglichkeiten:

 

Das Bisexuelle Netzwerk BiNe.eV organisiert Treffen für Bi+ Menschen aus ganz Deutschlang. Infos über die lokalen Gruppen findest Du hier: https://www.bine.net/content/gruppenliste

Zum Teil gibt es auch große Überschneidungen mit den Menschen aus dem Polyamoren Netzwerk PAN.eV

 

Einige Dating Plattformen bieten ebenfalls gute Auswahlmöglichkeiten um spezifisch genug suchen zu können.

In der queeren Community vergleichsweise bekannte sind:

– Gleichklang.de (eher Partnersuche aber auch polyamore oder nicht-monogame Menschen)

– Joyclub.de (Dating Plattform/soziales Netzwerk, groß und mit klarem Fokus auf Sexualität und verschiedene Orientierungen)

– Okcupid (Dating App mit vielen Auswahlmöglichkeiten für nicht-monosexuelle und nicht-monogame Menschen)

– BiCupid (Dating App falls Englisch kein Problem ist)

 

Es kann sich durchaus lohnen zu anderen queeren Treffen oder Treffpunkten zu gehen. Vielleicht eine Schwulenbar oder so. Das kann immer ein ganz schöner Schritt sein, der auch nicht für jeden etwas ist. Aber auch dort wirst du mit einiger Wahrscheinlichkeit auch bisexuelle Menschen treffen. Allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben, dass viele Bisexuelle sich innerhalb der Queeren Community nicht unbedingt outen weil es auch dort z.T. Diskriminierungen gibt.

 

Ich hoffe diese Antwort hilft dir erst mal weiter.

 

Viel Erfolg bei der Suche!

 

(Da in dieser Antwort externe Firmen genannt werden und diese in Form eines Blogeintrags veröffentlicht wird: Für die Nennung sind keine Gegenwerte oder Vergünstigungen entstanden und BiBerlin.eV hat mit den kommerziellen Anbietern auch sonst keine geschäftliche Verbindung. Es handelt sich hierbei aber um eine persönliche Meinung aus eigenem Erfahrungsschatz und mit keinem Anspruch auf Vollständigkeit.)

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Frage:

Hallo,

erstmal vorweg vielen Dank für Eure tolle Arbeit.

Meine Frage: Habt Ihr irgendwelche Tipps, wie ich mit meinen regelmäßigen Identitätskrisen als Bisexueller umgehen kann? Ich bin Anfang 40, lebe in einer heterosexuellen monogamen Beziehung und bin einer der vielen „unsichtbaren Bisexuellen“, aber wenigstens meiner Liebsten und gegenüber einigen anderen geoutet. Das Bi-Label trage ich seit über 20 Jahren. Ich habe keine realen Erfahrungen mit Männern. Regelmäßig stürze ich jedoch in Identitätskrisen, in denen ich befürchte, ich wäre eigentlich schwul, würde das mit meinem Bi-label überdecken und mein Leben wäre eine einzige Lüge. Später halte ich mich wieder für Hetero. Dann wieder für komplett bisexuell. Mich nervt das regelmäßige Grübeln über meine Orientierung. Ich liebe die Definition von Bisexualität von Robyn Ochs, die genau auf mich zutrifft. Wenn ich Single wäre, würde ich weder erotische Erfahrungen mit Männern noch mit Frauen ausschließen. Verknallt habe ich mich bisher immer in Frauen, bin also eher heteroromantisch veranlagt. Habt Ihr Anregungen, wie ich mir über meine Orientierung einfach weniger Gedanken machen könnte? Danke.

Antwort:

Hallo,

 

was du beschreibst klingt tatsächlich wie eine Erfahrung, die viele Bisexuelle machen. Gerade diese Unsichtbarkeit, die du ja selbst ansprichst, sorgt für Selbstzweifel. Vorurteile und negative Stereotype gegen Bisexualität kommen oft noch dazu und so passiert es vielen Bisexuellen, dass sie diese Dinge irgendwann selbst glauben. „Ich bin nicht queer genug“ oder „ich muss mich irgendwann entscheiden“ – das sind Sorgen, mit denen du nicht alleine bist.

 

Welches Label am besten zu dir passt, kannst natürlich nur du selbst wissen. Aber wenn du immer wieder bei „bi“ landest und das Gefühl hast, dass du gerne bi sein möchtest – dann ist das aus meiner Sicht ein sehr großes Zeichen, dass das Label zu dir past. Du sagst selbst du benutzt es seit 20 Jahren, du kannst dir erotische Begegnungen mit mehr als einem Geschlecht vorstellen, du magst die Definition von Robyn Ochs. Es ist ja ein häufiges Missverständnis, dass Bisexuelle sich zu allen Geschlechtern gleichermaßen hingezogen fühlen müssen. In der Tat ist es bei vielen Bisexuellen aber so, dass die Anziehung zu verschiedenen Geschlechtern unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Man kann zum Beispiel eine Präferenz haben oder die romantische und sexuelle Anziehung sind unterschiedlich stark ausgeprägt – und natürlich kann sich das auch mit der Zeit verändern. Sprich: es mag durchaus so sein, dass du dich mal einen Tag eher schwul fühlst und einen anderen eher hetero. Vielleicht hilft es dir dann, wenn du dir klar machst, dass auch eine starke Präferenz für ein Geschlecht nicht automatisch heißt, dass man „nicht bi genug“ ist. Und dabei ist es auch nicht wichtig, ob du sexuelle und/oder romantische Begegnungen mit verschiedenen Geschlechtern hattest. Alleine deine Aussage, dass du dir das vorstellen kannst, reicht schon aus – es braucht keinen Beweis, denn sexuelle Identität beschreibt dein inneres Empfinden und nicht deine Beziehungserfahrungen.

Vielleicht kannst du dich in den Momenten, in denen du befürchtest schwul zu sein, versuchen dich an die Gründe zu erinnern, warum du mit deiner Partnerin zusammen bist.

Eine andere Möglichkeit ist, mal einen Schritt zurück zu treten und sich zu fragen, was die Krise ausgelöst hat. Du bezeichnest dich als bi, findest, dass die Definition von Robyn Ochs zu dir passt, aber etwas hat dann doch dein Grübeln ausgelöst. Ist es eine Erwartung, die von außen kommt, wie Dinge zu sein haben? War es ein konkreter Anlass? Eine Lebensgeschichte, die du gehört oder gelesen hast?

 

Das waren jetzt zunächst ein paar Vorschläge, wie du innerlich anders mit diesen Krisen umgehen kannst. Es kann aber auch helfen, wenn du einfach mal mit anderen Bisexuellen in Kontakt kommst. Dazu gibt es von BiBerlin zum Beispiel regelmäßige Stammtische, deren Termine du in unserem Event-Kalender finden kannst. (Wenn du nicht in Berlin wohnst, kannst du dich über das Bisexuelle Netzwerk e.V. informieren, wo in deiner Gegend bi-Treffen stattfinden.)

 

Wichtig ist mir an der Stelle zu sagen, dass das auch etwas sein kann, was du mit deiner Partnerin gemeinsam tun kannst. Du musst deine queere Identität nicht als getrennt von deiner „hetero“-Beziehung betrachten. Du sagst ja, dass du deiner Partnerin gegenüber geoutet bist – aber redet ihr auch offen über das Thema? Vielleicht hilft es dir, wenn du sie in diese Gedanken einbeziehst (falls du es nicht schon tust) und mit ihr gemeinsam in die queere Welt eintauchst. Bei unseren BiBerlin Stammtischen wäre sie jedenfalls auch herzlich willkommen.

 

Ich hoffe, das konnte dir schon etwas weiterhelfen. Wenn du noch Fragen hast, dann wende dich gerne nochmal an uns.

 

Liebe Grüße,

Madeline

Frage:

Hi!

Erstmal danke für euer Engagement und eure Bildungsarbeit.

Ich weiß für mich mittlerweile sicher, dass ich bi/pan bin. Allerdings führe ich seit weit über 10 Jahren eine monogame hetero Beziehung und habe auch davor weder romantisch noch sexuell andere Erfahrungen als mit cis Männern gemacht. Innerhalb der Community fühle ich mich wie ein Eindringling, weil ich weder eigene Erfahrungen mitbringe noch für Dates zur Verfügung stehe. Außerhalb der Community bekomme ich stets Feedback, ich sei doch „normal“ hetero, sogar wenn ich erwähne wen ich attraktiv finde oder wer mein Herz gebrochen hat. Meine Frage: Was schlagt ihr vor, wie ich meine Orientierung besser begründen/rechtfertigen/argumentieren kann (ohne dabei wie Mode-Bi zu wirken)? Meine jetzige Beziehung will ich jedenfalls nicht opfern.

Danke im Voraus!

Antwort:

Hallo liebend Fragende,

 

wir hoffen, es ist ok, dass wir Deinen Namen nicht nutze, auch wenn wir ihn wissen. Da die Antwort aber über den Blog kommt, war uns Deine Anonymität wichtiger als eine persönliche Ansprache.

 

Ja, mit dem Problem, dass man irgendwie nicht 100%ig in die schwule/lesbische Lebenswelt zu passen scheint, aber eben auch nicht in 100%ig in die Heterowelt, haben wir Bi+ Menschen immer mal wieder zu kämpfen. Auch damit, dass man an unserer Beziehung eben nicht unsere Orientierung ablesen kann.

 

Fangen wir doch mal mit dem Thema Eindringling an:

Klar, manche Nutzen queere Veranstaltungen zum Dating, aber viele sind eigentlich nur dazu da, Menschen kennen zu lernen, die eben nicht ins cis-hetero-normative Spektrum fallen oder auch um Spaß zu haben. Weder für unseren Kaffeeklatsch und das offenes Treffen noch für die “L-night Berlin, for Queer women” meetup-Treffen oder die Veranstaltungen im Monster Ronson’s oder im SchwuZ ist single bzw. verfügbar sein eine Voraussetzung. 😉

Was Deine Erfahrungen angeht, hier ein paar Gegenfragen: 

Würdest Du einer homosexuellen Person ihr queer sein absprechen oder sie als Eindringling in die Community wahrnehmen oder ihr Recht beim CSD mitzugehen absprechen, nur weil sich Sex bisher nicht ergeben hat? Oder einer asexuellen Person? 

Warum also Dir?

Mal ganz davon ist es ja nicht so, als ob Du überhaupt keine Erfahrungen mit Deiner Orientierung gemacht hast. Wie Du selbst sagst, gab es ja durchaus emotionale Erfahrungen (sonst hätte Dir ja niemand das Herz gebrochen). Sex kann sehr schön sein bzw. Spaß machen und ist/tut es auch für viele von uns auch, er ist aber nicht das einzige und nicht ausschlaggebend für die Zugehörigkeit zur Bi+Community.

 

Natürlich solltest Du Deine Beziehung nicht aufgeben, nur damit andere Dir glauben!

Es gibt ein paar Varianten von Reaktionen, die man machen kann. Ob sie funktionieren, hängt mehr von der Person ab, als von ihrer sexuellen Orientierung.

Eine persönlicher Liebling ist, die Erklärungsnot umdrehen, denn warum muss man selber begründen, was man ist. Das geht z.B. so:

“Ich bin bi-/pansexuell” “Aber Du hast doch einen Freund.” “Ich liebe meinen Freund, weil er (hier seine tollen Eigenschaften einsetzen). Aber was genau haben die /hat das mit seinen primären Fortpflanzungsorganen zu tun?” Oder “Stimmt, ich habe ja auch nicht gesagt, ich bin lesbisch, sondern bi.” oder “ja, aber das heißt ja nicht, dass er der einzige Mensch ist, den ich je toll fand” (am besten mit den trockensten, unaufgeregtesten Ton der irgend geht 😉 ).

 Oder mit Erwartungen konfrontieren:

“Ich bin bi-/pansexuell” “Aber Du bist ja so normal.” “Wie sollte ich denn sonst sein?” oder “Ehm, ja, und? Warum nicht?” oder einen Scherz machen “Meine Hörner / zweiten Kopf / dritten Arm/ Hufe (oder was auch immer Dir so an Absurdem einfällt) trage ich nur zu Hause.”

Mit einem schwulen Freund gab es ziemlich am Anfang mal die Diskussion, dass aus Bi-Sicht, hetero und homo nicht viel anders ist. Die Richtung ist anders, aber am Ende ist trotzdem ungefähr die Hälfte der Menschen nicht attraktiv, nur weil sie bestimmte körperliche Merkmale haben, während es bei bi+ ja dieses Kriterium entweder ganz anders gelagert ist oder sogar gar nicht existiert. Seitdem bemüht er sich, bi im queeren Kontext als etwas Eigenständiges mit zu erwähnen. Ob diese anfängliche Ausführung der Grund dafür ist, keine Ahnung; aber nachdenklich wurde er damals schon. Vielleicht war es ihm vorher nie in den Sinn gekommen, dass Menschen aus dem Bi+ Bereich etwas anderes sein könnten, als irgendwie eine Mischung aus homo und hetero.

Nach dem ersten “geht ja gar nicht” gibt es ja auch gerne mal die Fragen, die ausloten sollen wie bi man eigentlich ist. 

“Hattest Du schonmal was mit einer Frau?” “Oh, wir tauschen Bettgeschichten aus. Aber nur wenn Du anfängst.” (Hilft manchmal um den Leuten klar zu machen, wie übergriffig solche Fragen sein können, besonders wenn man mit einem Lachen nachschiebt “Nee, ist schon ok. Wir müssen echt nicht über unser Intimleben reden.”) oder “Nee, hat sich nicht ergeben/nur unglücklich verliebt. Du mit einem Mann / einer Frau?” “Nein, wäre nichts für mich,” “Hmmm, ist bei mir halt anders.”

Natürlich gibt es auch subtile Varianten Sichtbarkeit herzustellen: “Wie war Dein Wochenende?” “Toll, es tut jedes Jahr einfach gut zum CSD zu gehen.” Dann kann sich das Gegenüber erstmal seine eigenen Gedanken machen, warum Du da warst, und es eröffnen sich auch Chancen für Nachfragen.

Oder einen unserer Button holen und am Bi Visibility Day tragen. Denn gerade, wenn Menschen rätseln, was der Grund für etwas ist, nehmen sie nachher Erklärungen eher an, als wenn man sie von vornherein bietet.

 

Diese Erfahrungen und Vorschläge sind natürlich nicht immer genau so anwendbar, wie hier verkürzt geschrieben. Es sind auch nicht die einzigen Möglichkeiten. Aber vielleicht helfen sie Dir, Wege zu finden und nicht immer das Gefühl zu haben, Du musst Deine gesamte Liebesgeschichte als Rechtfertigung erzählen.

 

Natürlich gibt es immer Menschen, die es nicht verstehen werden. 

Was dann helfen kann, ist daran zu denken, das es für Menschen etwas sehr elementares und unglaublich subjektives ist wen sie attraktiv finden und lieben. Da ist es sehr schwer, vom eigenen Empfinden weg zu gehen und eine andere Position einzunehmen. Das geht uns allen so. Man Selber versteht auch nicht immer, was z.B. Freunde an ihrem jeweiligen Partner finden. 

 

Liebe Grüße und vielen Dank für Dein Lob

 

Christiene und Anna

 

Frage:

Hallo biberlin verein ich hab eine frage,weil ich unsicher bin, ob ich wirklich bi bin.

Bei mir ist das so: ich bin eine frau und ich finde andere frauen mega hot. Es ist aber reine lust, mehr nicht. Frauen erregen mich viel schneller und stärker als männer. Bei männern hab ich aber mehr schmetterlinge im bauch und so was. Aber nicht, weil ich verliebt bin – auch bei one night stands! Bei frauen ist das alles irgendwie körperlicher. Das kommt mir gar nicht queer vor. Ich komme mir vor wie ein macho der frauen ausnutzt. Oder als wären frauen ein fetisch für mich weil ich ja nur sex von frauen will und mich in sie nicht verliebe. Ist das nicht auch eins der vorurteile das lesben gegenüber bifrauen haben? Das will ich nicht bestätigen. Bei mir ist es ganz klar nicht so dass mir das geschlecht egal ist. darf ich mich da überhaupt bi nennen?

Antwort:

Hallo liebe Fragende,

 

Ich kann und möchte Dir nicht sagen, dieses oder jenes Label das richtige für Dich ist. Schließlich bist Du diejenige, die sich damit wohlfühlen muss. Aber dabei helfen herauszufinden, welche möglich sind, kann ich hoffentlich.  

 

Gehen wir doch erstmal zu einer modernen Definition von Bisexuell: 

‚Bisexuell sind Menschen, die sich sexuell und/oder romantisch zu Menschen mehr als eines Geschlechts hingezogen fühlen.‘ Wenn Du Dich damit wohlfühlst, kannst Du es als Label für Dich natürlich nutzen. 

Aber diese Definition ist auch sehr allgemein und kann viele unterschiedliche Gewichtungen enthalten, was manche für sich nicht passend finden. 

 

Deshalb haben sich eine ganze Reihe von anderen Labels entwickelt. So kann man sich z.B. stärker zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen oder seltener zu einem anderen Geschlecht. Man kann da durchaus sagen, man ist bi, aber es gibt auch das Wort homoflexibel. 

Es gibt Menschen, die ausdrücken möchten, dass sie auch Geschlechter außerhalb des binären Schemas begehrenswert finden, diese nutzen gerne ply, polysexuell, pansexuell oder omnisexuell, je nachdem was man passend findet. 

Wenn man ausdrücken möchte, dass man für mehr als ein Geschlecht romantische Gefühle hegen kann, kann man bi-romantisch sagen. 

Es geht auch mehr als eine Bezeichnung für sich zu nutzen, so gibt es einen Menschen in meinem Leben, der sich als homosexuell und bi-romantisch definiert, sprich er fühlt sich von seinem Geschlecht sexuell angezogen, hat aber auch für ein anderes Geschlecht romantische Gefühle und kann mit ihnen auch Beziehungen führen (und tut es auch). Umgekehrt also bisexuell und homo- oder hetero romantisch gibt es aber auch. 

Es gibt also einige Labels, die Du nehmen kannst, wenn Du Dich mit bisexuell nicht wohl fühlst. Du kannst auch gerne hier stöbern: https://queer-lexikon.net/glossar/ oder falls Englisch kein Problem ist auch hier https://lgbta.wikia.org/wiki/LGBTA_Wiki. Gerade in dem englischen Wiki finde ich immer wieder Definitionen und Informationen, die mir bisher noch nicht bekannt waren. 

Du musst aber auch nicht unbedingt nach einem anderen Label suchen, so gibt es einen Bi-Blogger, der sich sexuell mehr zu Frauen und romantisch mehr zu Männern hingezogen fühlt. Er nutzt bi für sich und das ist völlig ok. 

Auch will man ja vielleicht nicht immer jedem alles haarklein erklären, hier kann man durchaus bi, nicht-monosexuell oder auch bi+ sagen (die letzten beiden Begriffe sind ganz praktisch, um zu zeigen, dass es eben verschiedene Möglichkeiten gibt und man sich einer davon zugehörig gibt). Die spezifischen Begriffe nicht immer allen bekannt, oder immer mehrere Begriffe zu sagen, kann hinderlich werden. 

Es geht wirklich darum, was sich für Dich am besten anfühlt und was Du ausdrücken möchtest. 

 

Der Bereich Sex und Verlieben usw. insgesamt ist natürlich ein nochmal ein komplexeres Thema. Hier spielt viel zusammen, von Sozialisation über Biologie bis hin zu dem Problem, das Empfindungen nicht nur höchst subjektive sind sondern auch sich im Laufe der Zeit unserer Erinnerung nachträglich noch geändert werden können, je nachdem was danach passiert. 

Aber erstmal zum Sex. Sex (und auch Zärtlichkeit) kann man aus verschiedenen Gründen haben. Der Klassiker ist natürlich Fortpflanzung, aber es gibt natürlich auch andere, völlig legitime Gründe: 

von ‚gegenseitig Zuneigung zeigen‘ über ‚Lust‘ bis hin zu ‚Stressabbau‘ (Klassiker hier wäre zB. Versöhnungssex, sprich Spannungsabbau nach Stress zwischen Partnern, oder auch Trost nach einschneiden Erlebnissen u.ä.). 

Kleiner interessanter Einwurf hier, nicht nur Menschen, sondern auch andere soziale Säugetiere nutzen Sex zu mehr als nur Fortpflanzung, z.B. Bonobos oder Delfine haben es als soziale Interaktion oder nur mal nur zum Spaß.  

Hier spielt natürlich auch die Sozialstation eine Rolle, so gab es Zeiten / religiöse Ausrichtungen bei denen Sex nur als Mittel zur Fortpflanzung als moralisch richtig angesehen wurde/wird. In unserer Gesellschaft wird heute häufig Sex mit Verliebt sein / Liebe in Verbindung gebracht, aber Szenarien wie one night stands oder Freundschaft+ oder langfristige Affären sind definitiv nicht mehr so negativ konnotiert wie vor 60-70 Jahren. Und es gibt verschiedene Strategien es so zu gestalten, dass es auch ethisch gemacht werden kann. Und ich denke dahin geht auch Deine Befürchtung was den ‘Macho’ angeht. 

Oder wenn ich es als Frage umformulieren würde, ist es ok Sex nicht nur aus verliebtsein zu haben und wie kann man es machen, so dass die andere Person sich nicht benutzt fühlt?  

Eine Möglichkeit ist natürlich, so etwas einfach anzusprechen. Wenn beide sich der Situation bewusst sind und damit kein Problem haben, kann man durchaus sagen, es gibt auch kein Problem. Eine der Schwierigkeiten dabei ist natürlich, dass das Kommunizieren nicht immer einfach ist. Wenn man jemanden kennenlernt, den man spontan heiß findet, ist eine lange philosophische Erklärung vorher nicht immer super antörnend. 😉

Es gibt Menschen, die diesem Problem aus dem Weg gehen, in dem Sie gewisse sexuelle Kontakte nur in einem Rahmen haben, wo die Spielregeln vorher festgelegt sind. Das kann ein passender Club oder eine private Party sein. Das ist natürlich auch nicht für jeden. 

Es gibt natürlich auch das Argument, dass man zwar bewusst der Meinung sein kann, man unbewusst doch andere Erwartungen / Hoffnungen hegen kann, und wir als Menschen haben die Fähigkeit, das zu erkennen und auch für den anderen Menschen vorzusorgen, dass er nicht in diese Situation kommt. Also stellt man den eigenen Wunsch nach Sex zurück, damit der andere nicht verletzt wird.Aber nicht jeder will sich immer nur zurücknehmen und das ist auch kein Makel.

Diese verschiedenen Möglichkeiten sind natürlich Extrempunkte und in der Realität pendeln die meisten von uns (unabhängig von unserer Orientierung) irgendwo dazwischen. Wir sagen auf Datingsites vorher was man von uns erwarten kann, nehmen an, dass für Kennenlernen im z.B. Berghain andere Erwartungen gestellt werden können als für ein erstes Date in einem romantischen Restaurant und ziehen uns zurück, wenn wir merken, dass unser Gegenüber Hoffnungen hat, die wir nicht erfüllen können.

Egal welchen Fokus Du wählst, Offenheit, vorgegebener Rahmen, vorsorgendes Mitdenken oder eine Wechsel der Strategie je nach Situation, solange Du nicht nur an Deine Bedürfnisse denkst, sondern auch mit an die des anderen, bist Du eben kein Macho. Denn dieser Typus denkt gerade nicht über die Gefühle des anderen nach. 

 

Eine weitere Sache, die Du Dir aber noch vergegenwärtigen kannst, ist noch folgendes: wir haben zwar die Vorstellung, dass die Abfolge so aussehen sollte: Verlieben mit Schmetterlingen (am besten auf den ersten Blick), irgendwann Sex und dann Liebe bei der aber das Verliebt sein nicht (ganz) weg geht. Und das ist auch unglaublich schön, wenn es so passiert. Aber es muss nicht so sein. 

Es gibt z.B. Freundschaft, die zur Liebe wird, dabei tauchen Verliebt sein und die Schmetterlinge im Bauch nicht nicht unbedingt auf. Ich habe in meiner Umgebung auch schon Fälle erlebt, bei denen eine Beziehung erst mit reinen Sex anfing und wo sich dann im Laufe der Zeit mehr ergeben hat. Auch hier waren Verliebt sein und Schmetterlinge nicht dabei und trotzdem sind langfristige, tragfähige und liebevolle Beziehungen entstanden. 

Ein Grund dafür mag sein, dass diese Schmetterlinge eben nicht nur aus dem Glücksgefühl entstehen, sondern ein Teil davon eben auch Unsicherheit, Nervosität, Aufregung und manchmal auch ein kleines bisschen Angst ist. Manche mögen dieses Gefühl, andere empfinden diese Situation eher stressig, fast wie ein Vorstellungsgespräch. 

Es gibt Menschen, die Sex mit dem eigenen Geschlecht als entspannter empfinden, denn das Empfinden ist ähnlicher, bekannter und man kann sich leichter fallen lassen, ist weniger nervös oder unsicher. Andere empfinden es genau andersherum, denn heterosexueller Sex ist häufiger und somit bekannter. Bei uns Frauen kommt auch noch häufiger als bei Männern der Sicherheitsaspekt zum Tragen, wenn es um das Thema Lust geht. 

 

Was ich also damit sagen will, es ist ganz normal unterschiedliche Empfindungen bei unterschiedlichen Geschlechtern zu haben und wenn es so ist, ein anderer Start muss nicht abträglich sein für eine Beziehung. Und wenn keine gewünscht, kann man Wege für sich finden, die einem dabei helfen, es so zu gestalten, dass es für alle Parteien ok ist. Also sei nicht zu streng mit Dir. Allein, dass Du Dir Gedanken dazu machst, wie für mich eben aus deiner Frage ersichtlich ist, ist super. 

 

Zu guter Letzt: Das Gefühl nicht queer genug zu sein, ist nicht selten unter Menschen, die sich im Bereich Bi+ wiederfinden. Sogar Wolfgang Joop hat sich damit auseinander gesetzt, bei den Heteros rauszufallen und irgendwie nicht bei den Homos anzukommen. Und ja Vorurteile gegenüber Bi+ gibt es seit den ersten homosexuellen Emanzipationsbestrebungen. Aber nicht bei allen! Und Vorurteile anderer sind vielleicht nicht gerade die Leitlinie, die Du für Dich nutzen willst. 😉 

Aber queer wird heute als Adjektiv für alle genutzt, deren Empfinden, sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identifikation nicht der Cis-hetero-Norm entsprechen. Also lass Dich da nicht rausdrängen, wenn Du nicht möchtest. 😉

 

Jetzt habe ich viel geschrieben und mir ist klar, dass ich kaum klare Antworten gegeben habe. Aber ich hoffe, ich habe Dir einiges an Infos geben und Möglichkeiten aufgezeigt, um Deine Fragen für Dich zu beantworten. Ich würde meine Infos aber auch nicht als den ultimativen Guide nehmen. Wie ich schon oben Mal gesagt habe, lerne ich auch immer wieder dazu. Deshalb würde es mich auch freuen, wenn Du nochmal eine Rückmeldung geben könntest, wie hilfreich die Antwort für dich für dich war und ob Du noch weitere Fragen hast. 

 

Liebe Grüße

 

Christiene