von | 18. Juni 2025 | Bi+ Archiv

Bi+ Sichtbarkeit und Selbsthilfe zwischen Ost und West Berlin: Wendezeit und frühe 1990er

Bi+ Sichtbarkeit und Selbsthilfe zwischen Ost und West: Wendezeit und frühe 1990er

Die Geschichte der Bi+ Community in Berlin ist eng mit Fragen von Sichtbarkeit, Selbsthilfe und Selbstorganisation verbunden. Besonders deutlich wird dies im Vergleich zwischen Ost- und West-Berlin sowie in der Umbruchszeit rund um 1989/90. In einer gesellschaftlichen Situation, in der Bisexualität kaum anerkannt und häufig unsichtbar gemacht wurde, entstanden dennoch wichtige Räume für Austausch, Unterstützung und politische Positionierung.

Bi+ Leben und Sichtbarkeit in der DDR

In der DDR existierte Bisexualität lange Zeit kaum als eigenständige Kategorie öffentlicher Wahrnehmung. Nicht-heterosexuelle Lebensweisen wurden insgesamt marginalisiert, Bi+ Identitäten blieben meist unsichtbar oder wurden als vorübergehende Phase interpretiert. Dennoch entstanden bereits in den 1970er-Jahren erste Gesprächszusammenhänge und Gruppen wie die HIB (Homosexuelle Interessengemeinschaft Berlin) in Ost-Berlin. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Sonntags-Club in Ost-Berlin, der sich ab den späten 1980er-Jahren zunehmend auch für bisexuelle Themen öffnete. Gesprächskreise boten hier einen der wenigen Orte, an denen Bi+ Personen über ihre Erfahrungen sprechen konnten – oft erstmals und unter Bedingungen begrenzter Öffentlichkeit. Sichtbarkeit bedeutete in diesem Kontext vor allem gegenseitige Anerkennung und Selbstvergewisserung, weniger öffentliche Präsenz.

Der Gesprächskrels Bisexualltät als Tell des Angebots des Sonntags-Clubs. 1990 traf er sich Im Volkskunstclub in der heutigen Schivelbeiner Straße im Prenzlauer Berg.

West-Berlin: frühe Gruppen und Selbsthilfeansätze

In West-Berlin entwickelten sich bereits etwas früher selbstorganisierte Bi+ Strukturen, eingebettet in die westdeutsche Lesben- und Schwulenbewegung. Gleichzeitig blieben bisexuelle Personen auch hier häufig zwischen den Stühlen: In heteronormativen Kontexten galten sie als „abweichend“, in schwul-lesbischen Zusammenhängen wurden sie nicht selten misstrauisch betrachtet oder abgewertet. Gerade deshalb waren Gesprächskreise und Selbsthilfeangebote von zentraler Bedeutung. Sie ermöglichten Austausch über Beziehungen, Identität, Diskriminierungserfahrungen und Zugehörigkeit. Diese frühen Bi+ Gruppen legten wichtige Grundlagen für spätere Vernetzungen und politische Artikulation.

Die Wendezeit: neue Räume, neue Brüche

Mit dem politischen Umbruch 1989/90 veränderten sich die Bedingungen für Bi+ Community-Arbeit grundlegend. Die Öffnung der Stadt ermöglichte neue Begegnungen zwischen Ost und West, aber auch neue Spannungen. Unterschiedliche Erfahrungen, politische Sozialisationen und Organisationsformen trafen aufeinander. In dieser Phase wurden Gesprächskreise zu wichtigen Brückenräumen. Sie boten Kontinuität in einer Zeit massiver gesellschaftlicher Veränderungen und ermöglichten zugleich neue Formen der Zusammenarbeit. Bi+ Personen nutzten diese Räume, um gemeinsame Anliegen zu formulieren und sich innerhalb der sich neu formierenden queeren Landschaft Berlins zu positionieren.

Selbsthilfe als politische Praxis

Rückblickend zeigt sich, dass Gesprächskreise und Selbsthilfeangebote weit mehr waren als private Austauschformate. Sie stellten eine politische Praxis dar, die Bi+ Existenz sichtbar machte. Zunächst im Kleinen, später auch im öffentlichen Raum. Indem Bi+ Personen ihre Erfahrungen teilten, widersprachen sie aktiv der Vorstellung, Bisexualität sei unsichtbar, irrelevant oder nur ein Übergang. Diese frühen Formen der Selbstorganisation bilden eine wichtige Grundlage für spätere Netzwerke, Vereine und Projekte. Sie markieren den Beginn einer kontinuierlichen Bi+ Community-Arbeit in Berlin, die bis heute fortwirkt.

Der Blick auf Ost und West, auf Brüche und Kontinuitäten, macht deutlich: Bi+ Geschichte in Berlin ist eine Geschichte von Selbsthilfe, Widerstand gegen Unsichtbarmachung und dem Aufbau sicherer Räume, lange bevor institutionelle Anerkennung oder Förderung existierte.

Alle in diesem Beitrag genannten Informationen stammen aus den von BiBerlin e. V. herausgegebenen Geschichtsheften zur Berliner Bi+ Geschichte. Der Blogbeitrag bietet einen kurzen Einblick und kann die umfassende Aufarbeitung in den Publikationen nur ausschnitthaft abbilden.

Wenn du tiefer in die Geschichte der Bi+ Community in Berlin eintauchen möchtest, empfehlen wir die vollständigen Geschichtshefte.

PDF-Datei des Projekts „Jüngere Bi+ Geschichte in Berlin“

PDF-Datei des Nachfolgeprojekts „Neuere Berliner Bi+ Geschichte: Vernetzungen und Netzwerke“