von | 13. Juni 2025 | Bi+ Archiv

Bisexual Manifesto: Ein Meilenstein des bisexuellen Selbstverständnisses

Ein Meilenstein des bisexuellen Selbstverständnisses

Das Bisexual Manifesto aus dem Jahr 1991 gilt als einer der zentralen Grundlagentexte der internationalen bi+ Bewegung. Es wurde ursprünglich als Teil des Editorials der US-amerikanischen Zeitschrift Anything That Moves veröffentlicht, einem Magazin aus der bisexuellen Community, das Anfang der 1990er-Jahre als Plattform für Sichtbarkeit, politische Artikulation und Selbstdefinition entstand.

Das Manifest reagierte auf eine Situation, in der Bisexualität sowohl in der hetero Dominanzgesellschaft als auch innerhalb queerer Bewegungen stark marginalisiert wurde. Bisexuelle Menschen waren mit Stereotypen konfroniert, so sie häufig als unentschlossen, unglaubwürdig, politisch unzuverlässig oder als „nicht queer genug“. Das Bisexual Manifesto widersprach diesen Zuschreibungen entschieden und formulierte ein eigenständiges bisexuelles Selbstverständnis.

Widerspruch gegen ein binäres und statisches Verständnis von Bisexualität

Zentral ist dabei die Abkehr von binären Denkmodellen. Das Manifest macht deutlich, dass Bisexualität nicht als Mischung oder Zwischenstufe zweier Pole verstanden werden kann, sondern als eigenständige Identität mit vielfältigen Ausdrucksformen. Bisexualität wird als fluide und selbstbestimmte Realität beschrieben, die sich nicht auf feste Kategorien reduzieren lässt.

Dabei richtet sich die Kritik des Manifests nicht nur gegen binäre Vorstellungen von sexueller Orientierung (hetero/homo), sondern auch gegen binäre Geschlechtermodelle. Es stellt früh heraus, dass Begehren nicht an zwei klar definierte Geschlechter gebunden ist und dass sowohl Geschlecht als auch sexuelle Orientierung komplexer, offener und wandelbarer gedacht werden müssen. Uneindeutigkeit, Widersprüchlichkeit und Veränderbarkeit werden nicht als Defizite, sondern als legitime Realitäten benannt.

Ein weiterer zentraler Aspekt des Manifests ist die klare Zurückweisung von Unsichtbarmachung. Das Manifest benennt explizit, dass Bisexualität häufig aus Diskursen gelöscht wird – sei es durch die Annahme, bisexuelle Menschen seien „eigentlich“ hetero oder homo, oder durch die Weigerung, Bisexualität als eigenständige politische Kategorie anzuerkennen. Diese Kritik ist bis heute hochaktuell und spiegelt Erfahrungen wider, die viele Bi+ Personen weiterhin machen.

Darüber hinaus formuliert das Bisexual Manifesto eine deutliche Kritik an normativen Vorstellungen von Beziehungen, Begehren und Identität. Es widersetzt sich der Erwartung, dass sexuelle Orientierung zwangsläufig mit bestimmten Lebensentwürfen, Beziehungsformen oder politischen Loyalitäten einhergehen müsse. Damit ist das Manifest nicht nur ein Text zur Sichtbarkeit, sondern auch ein früher Beitrag zu einer queeren Kritik an Normativität.

Das Bisexual Manifesto: Beyond the Myths of Bisexuality

Auszug aus dem Manifest (Quelle):

„Our choice to use this title for the magazine has been nothing less than controversial. That we would choose to redefine the stereotype that „bisexuals will fuck anything that moves,“ to suit our own purposes has created myriad reactions. Those critical of the title feel we are purporting the stereotype and damaging our image. Those in favor of its use see it as a movement away from the stereotype, toward bisexual empowerment.

We deliberately chose the radical approach. We are creating dialogue through controversy. We are challenging people to face their own external and internal biphobia. We are demanding attention, and are re-defining „anything that moves“ on our own terms. 

READ OUR LIPS; WE WILL WRITE OR PRINT OR SAY ANYTHING THAT MOVES US BEYOND THE LIMITING STEREOTYPES THAT ARE DISPLACED ON TO US. 

[…] We are tired of being analyzed, defined and represented by people other than ourselves—or worse yet, not considered at all. We are frustrated by the imposed isolation and invisibility that comes from being told or expected to choose either a homosexual or heterosexual identity. Monosexuality is a heterosexist dictate used to oppress homosexuals and to negate the validity of bisexuality.

Bisexuality is a whole, fluid identity. Do not assume that bisexuality is binary or dougamous in nature; that we must have „two“ sides or that we MUST be involved simultaneously with both genders to be fulfilled human beings. In fact, don’t assume that there are only two genders. Do not mistake our fluidity for confusion, irresponsibility, or an inability to commit. Do not equate promiscuity, infidelity, or unsafe sexual behavior with bisexuality. Those are human traits that cross ALL sexual orientations. Nothing should be assumed about anyone’s sexuality—including your own.

We are angered by those who refuse to accept our existence; our issues; our contributions; our alliances; our voice. It is time for the bisexual voice to be heard. […] We bisexuals tend to define bisexuality in ways that are unique to our own individuality. There are as many definitions of bisexuality as there are bisexuals. Many of us choose not to label ourselves anything at all, and find the word ‚bisexual‘ to be inadequate and too limiting. […]

This magazine is about ANYTHING THAT MOVES: that moves us to think; that moves us to fuck (or not); that moves us to feel; that moves us to believe in ourselves—To Do It For Ourselves!“

Zum vollständigen Manifest

Dass das Bisexual Manifesto mehr als 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung nichts an Relevanz verloren hat, zeigt sich darin, dass viele der damals adressierten Vorurteile und Stereotype weiterhin bestehen. Der Text ist damit nicht nur ein historisches Dokument, sondern auch ein Bezugspunkt für gegenwärtige bi+ politische Debatten und Selbstverständnisse.

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