Dokumentation
UNSERE REDE ZUM BI+ VISIBILITY DAY 2025IN BERLIN
Inspiriert von der US-amerikanischen Bi+ Aktivistin Bailey Merlin, möchten wir heute nicht über Sichtbarkeit sprechen, sondern über Anerkennung und Teilhabe. Die Fachstelle Bi+ ist gerade ein Jahr alt und schon steht ihre Zukunft auf dem Spiel. Sie ist die erste und einzige spezialisierte Einrichtung für die Bi+ Community und ihre Angehörigen in Berlin. Wir bieten psychosoziale Beratung, Empowerment-Angebote sowie Schulungen für Verwaltung, Politik und Institutionen.
Bi+ Personen stellen mit rund 60 % die Mehrheit der queeren Community. Es gibt ein einziges Bi+ Projekt. Dabei umfasst unsere Zielgruppe allein in Berlin potenziell schon ca. 800.000 Menschen. Wir haben Haushaltsverhandlungen. Die Fachstelle Bi+ soll ab 2026 nur noch mit einem reduzierten Sockelbetrag finanziert werden, der um 1/3 geringer ist. 1,2 % für Bi+ Projekte! Denn 1,2 % ist der Anteil am Gesamtbudget 2026, das für LSBTI-Projekte in Berlin geplant ist. 1,2 % für die größte Gruppe der queeren Community. 1,2 % für 60 % der queeren Community. Das ist ein Schlag ins Gesicht und zeigt deutlich, dass das B in LSBTIQ+ nicht das gleiche Maß an Finanzierung oder Anerkennung erhält, wie andere queere Organisationen.
Unsere aktuelle Befragung zeigt: Bi+ Menschen erleben spezifische Ausschlüsse und Diskriminierungen, die von Politik, Verwaltung und Fachpraxis noch immer vernachlässigt werden. Unsere Bedürfnisse werden konsequent minimiert und in den Hintergrund gedrängt. Wir spüren täglich wie groß der Bedarf an sicheren, fachlich qualifizierten Beratungsangeboten mit Peer-Perspektive ist. Unsere Erfahrungen zeigen klar, dass vorhandene Strukturen längst nicht ausreichen, um das Ausmaß an Unsichtbarkeit, Ängsten und Ausschlüssen aufzufangen. Wenn Bi+ Menschen Teilhabe einfordern, wird uns oft signalisiert, wir sollten still sein, weil es Themen gibt, die wichtiger sind. Und ja, zum Beispiel sind lange erkämpfte Trans* Rechte in Gefahr – das ist eine reale Bedrohung und absolut wichtig.
40% der trans* Personen identifizieren sich als Bi+. Wir können unsere Identitäten nicht auseinanderdividieren. Trans* Themen sind Bi+ Themen und Bi+ Themen sind Trans* Themen. Identitäten sind intersektional. Es sind die unterschwelligen kleinen Nadelstiche, die sich summieren. Wenn z.B. von Homo- und Transphobie die Rede ist: Das blendet nicht nur Bi+, sondern auch inter*geschlechtliche Menschen aus. Dabei ist „Queerfeindlichkeit“ die kürzere und inklusive Alternative. Wir spüren das innere Naserümpfen, wenn wir bei queeren Veranstaltungen mit einem Infostand vor Ort sind und Menschen sich abwenden, wenn klar ist, dass wir die Bi+ Community repräsentieren. Manchmal noch mit einer abfälligen Handbewegung.
Bi+ Probleme scheinen nicht existent zu sein, weil sie vermeintlich nicht ernst genug sind. Aber Statistiken zeigen, dass Bi+ Menschen – im Vergleich zu mono-sexuellen Angehörigen der queeren Community – die höchste Rate an Angstzuständen, Depressionen, Suizidalität und Substanzkonsum aufweisen. Bi+ Jugendliche haben ein noch höheres Risiko: Die Suizidgefahr ist hier noch größer. Es geht aber nicht nur um Statistiken. Hier geht es um einen Mangel an Ressourcen. Beratungsangebote spielen eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von Diskriminierungserfahrungen und Unsicherheit. Diese Angebote können jedoch gleichzeitig Diskriminierung und Stereotype reproduzieren.
Aus diesem Grund ist ein essenzielles Anliegen, dass die Angebote bi+ sensibel und intersektional sind. Aktuell kann die Fachstelle Bi+ nur einen Teil dieser Bedarfe decken. Wir brauchen gesicherte Strukturen, und eine klare politische Entscheidung für die Bi+ Community. Uns ist in keiner Weise daran gelegen unrealistische Forderungen zu stellen. Wir wollen aktuell lediglich den Status quo erhalten.
Für das B, für die Fachstelle Bi+ bedeutet Status quo einen Anteil von 1,8 % der Haushaltssumme für LSBTI.
Wir halten trotz der ständigen Hindernisse durch, nicht wegen ihnen. Der Bi+ Aktivismus reicht in Berlin Jahrzehnte zurück. Ehrenamtlich. Neben Jobs, neben Familien. Das ist keine Wohlfühlgeschichte. Ehrenamt kann aber nicht alles tragen und leisten. Wenn Berlin uns unterfinanziert, wenn Berlin uns ignoriert, lässt die Regenbogenhauptstadt die Mehrheit der queeren Community im Stich. Wir bitten nicht um Sichtbarkeit, sondern um etwas, das viel mehr Arbeit erfordert: Wir bitten darum, anerkannt zu werden. Wir bitten um echte ganzjährige Anerkennung von Bi+ Menschen.
Das bedeutet, dass mindestens der Status quo, also die Zuwendungssumme 2025, für die Fachstelle Bi+ sichergestellt werden muss. Berlin darf sich nicht länger Regenbogenhauptstadt nennen, wenn es die queere Mehrheit im Stich lässt. Berlin darf sich nicht mit Vielfalt schmücken, während es Bi+ Menschen an den Rand drängt. Wir bitten um Anerkennung. Und Anerkennung zeigt sich in Taten. Vielen Dank.
Die abgebildete Rede wurde am 23. September 2025 anlässlich des Bi+ Visibility Day in Berlin im Rahmen verschiedener Flaggenhissungen gehalten. Sie entstand vor dem Hintergrund laufender Haushaltsverhandlungen und aufgrund eines zu gering veranschlagten Grundansatzes der Förderung der Fachstelle Bi+.
Die Rede wird hier als zeitgeschichtliches Dokument im Bi+ Archiv veröffentlicht. Sie bildet den damaligen politischen Standpunkt, die Forderungen und die Situation der Bi+ Community Berlins zu diesem Zeitpunkt ab.